Rock Im Garten 28.08.2022, ZDF, Fernsehgarten

Was kommt dabei heraus, wenn eine Seniorenmitklatsch-Sendung versucht, eine Subkultur zu verstehen, obwohl sie eigentlich jedes Publikum als Zielgruppe haben, die diese Subkultur als „Hottentotten-Musik aus’em Urwald“ bezeichnet? Der „Rock Im Garten“ ZDF-Fernsehgarten. Eine Shitshow finanziert von euren Gebühren, die weder kulturell wertvoll ist noch irgendwie dazu beiträgt, dass Metal jetzt mehr Akzeptanz erfahren würde.

Rock im Garten
ZDF, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Ja, Metal ist im Mainstream angekommen. Aber ist es nötig, dass sich etablierte Bands nun als Miniplayback Show vor ein Publikum stellen, das normalerweise eher Florian Silbereisen und Helene Fischer oder gar die Amigos abfeiert?

Eröffnet wird die Cringe-Parade von Doro, die zu Vollplayback ihren Warlock-Klassiker „All We Are“ singt. Naja, eigentlich ja nur so tut. Für die Älteren unter euch ist sie vielleicht noch immer die Metal Queen. Aber für die Jungen und auch meine Wenigkeit hat sie sämtliche Authentizität und Credibility verloren. Es sind genau solche Auftritte, die die einstige Gand Dame zu einer peinlichen Karikatur ihrer selbst machen. Und als ob der schwarze Teppich mit der Pommesgabel (Mano-Cornuta) auf der Bühne nicht schon klischeehaft genug ist, muss sich Moderatorin Andrea „Kiwi“ Kiewel natürlich noch mit einem Trike zur Moderationsbühne karren lassen. Die Stones hatten damals die Hells Angels als Security. Hier reicht es nur für motorisierte Dreiräder (sorry an alle Trike-Fahrer)

H.e.a.t. aus Schweden dürfen jetzt auch so tun als ob sie „Back To The Rhythem“ aus ihrem aktuellen Album spielen. Generell merkt auch jeder, der entweder die Alben besitzt oder Spotify nutzt, dass hier nichts live ist.

Im Anschluss daran zeigt uns Frau Kiewel ein paar Festivals, die es so auf der Welt gibt. Eben Burning Man und Tomorrow Land, natürlich unvermeidlich auch das Wacken Open Air. Das ZDF hat sich für die 2023er Ausgabe gleich mal zwei Tickets gegönnt und möchte diese unter die Menschen bringen. Dafür sucht Kiwi jetzt drei Kandidaten, die durch, stumpf gesagt, Mainzelmännchen an einer Schnur ziehen diese Karten gewinnen können. Der ganze Prozess soll „Rocking Det“ heißen. Vorher geht sie dann aber noch durchs Publikum und stellt Fragen zum Ticketpreis des Wackens 1990. Nice To Know, damals kostete ein Ticket 12 DM.

Die Miniplayback Show geht weiter. The Rasmus, die wenige Monate zuvor Finnland beim ESC vertreten haben, lassen nun ihren neuen Song „Rise up“ vom Band laufen. Frontmann Lauri Ylönen, nur echt mit Rabenfedern im Haar,  scheint schon vor 20 Jahren das Altern eingestellt zu haben. Außer ihm und seinem Bassisten Eero Aleksi Heinonen gibt es keine Originalmitglieder mehr in der Band. Bisher kommen die Finnen beim Publikum am besten an. Genau genommen so gut, dass Kiwi die Menge nur damit beruhigen kann, ihnen zu versprechen, dass die Band später noch performen wird – spielen kann man es ja nicht nennen.

Da sich der Fernsehgarten in erster Line an Zuschauer im fortgeschrittenen Alter richtet und diese vielleicht noch nie auf einem Festival waren (Sie hatten ja damals nüscht), muss es jetzt natürlich eine Festival-Modenschau geben, um dem Publikum zu verdeutlichen, welche Art von Mode man auf Festivals trägt. Ich selber habe zwar noch nie solche Outfits auf Festivals gesehen, aber was weiß ich ja auch schon. Bei den ganzen Einnahmen durch den Rundfunkbeitrag wäre da nicht eine Kooperation mit EMP oder Impericon möglich gewesen, und man hätte dann authentische Models auflaufen lassen?

Visions Of Atlantis  tun jetzt so, als ob sie ihren Song „Melancholy Angel“ spielen. Allerdings dachte ich zunächst bei Kiwis Ansage, in der sie über Piraten sprach, eher an Mr. Hurley & Die Pulveraffen oder an Alestorm. Letztere wären dem Seniorenpublikum aber wohl zu hart gewesen und hätten vielleicht zu einer Überstrapazierung des Notrufs 112 geführt. In Zeiten einer globalen Pandemie vielleicht auch nicht so ratsam.

Und genau darum geht es gleich sehr seicht weiter mit den sehr poppigen Rockern von Smash Into Pieces und dem Stück „All Eyes On You“. Ich weiß nicht, ob Techwear noch ein Ding ist, aber die Band trägt sehr viel davon. Die LED-bestückte Maske des Drummers lässt ihn aussehen wie einen Character aus dem Game Watch Dogs Legions.

Es wird gekocht …… dachte ich. Tatsächlich bekommen wir jetzt Verbraucherinfos und Messerkunde von einem Küchenchef. Einzige Lektion, die ich mitnehme. Mit Jeansstoff kann man Messer schärfen. Es fällt übrigens sehr auf, dass Andrea Kiwel sehr touchi ist. Will heißen, die Dame fasst wirklich jeden ihrer Interviewpartner und Gäste an.

Weltpremiere im Fernsehgarten. Kiwi sagt zum ersten Mal das Wort Dead im Fernsehen, weil dieses Wort Teil des Songtitels „Only The Dead“ von den nun folgenden Kissin‘ Dynamite ist. Erstaunlicherweise kommen auch die recht gut beim gesetzteren Publikum an. Aber natürlich sind es hauptsächlich die angereisten Rock- und Metal Fans auf dem sogenannten Wacken-Hang, die jetzt so hart nach einer Zugabe rufen, dass selbst die Band gerade nicht von der Bühne will.

Frau Kiewel sucht nun im Wacken-Hang nach einem neuen Mitspieler für das Mainzelmännchenziehen um die Wackenkarten. Dabei fällt ihr ein Typ in Metalweste auf. Dem geneigten Power Metal Fan wird nicht entgangen sein, dass Jürgen, so heißt der Mann, ein etwas aus dem Leim gegangener Sabaton Fan im Joakim Broden Cosplay ist, die er – warum auch immer – als Rockband bezeichnet. Ein wenig penetrant, aber dennoch charmant fragt er nun immer wieder danach, wann denn jetzt um die Wackenkarten gespielt wird, bis ihn Kiwi tatsächlich als Kandidaten zulässt. Zuvor verkündet sie aber noch, dass Mando Diao krankheitsbedingt ausfallen (Scheint sich wohl auch um Corona zu handeln).

Nachdem Saltatio Mortis „Nie Allein“ spielen lassen haben, macht Sänger Alea noch einen Salto in den vor der Bühne befindlichen Pool. Das war auch schon das Spannendste daran.

Doro darf auch noch mal so tun als ob und wählt dafür das Stück „Raise Your Fist“. Andrea Kiewel schlägt der Dame im Anschluss dann doch tatsächlich eine Kooperation mit Helene Fischer vor, was natürlich nicht auf viel Gegenliebe seitens der Fans stößt. Vielleicht hat aber auch sie bereits erkannt, wie weit sich Frau Pesch mittlerweile dem deutschen Schlager angenähert hat.

Es wird akrobatisch. Die Künstlerin Viviana Rossi führt sehr laszive Akrobatik mit einer Reckstange und Seidentüchern, die natürlich verstärkt sind, um sie zu halten und einer Badewanne auf. Dabei taucht sie immer mal wieder ab, um ihren Körper zu befeuchten.

Was dabei rauskommt, wenn Manowar und J.B.O. eine besoffene Nacht zusammen verbringen und vergessen dabei zu verhüten, sehen wir am Beispiel von Nanowar Of Steel aus Italien. Diese bedienen sich zumindest bei ihrem Logo an der Ästhetik der Trvnesskeeper, sind musikalisch aber genauso unbedeutend wie die Erlangener. Ihr Song „Norwegian Reggaeton“ enthält nicht nur sehr klischeehafte Reggae-Einlagen, nein, die Italiener führen ihn auch mit Badehosen, Hawaii-Hemden und Schwimmringen auf. Allgemein könnte der Track aber auch ein klassischer Sommerhit sein, der von Prosieben zur Untermalung ihrer Programmtrailer genutzt werden würde.  Apropos Manowar. Nach der Publikumsfrage zum lautesten Konzert, das jemals gespielt wurde, spricht Frau Kiewel die Band als Mannowooaahh aus.

Kissin‘ Dynamite dürfen noch einmal ran. Dieses Mal zusammen mit The Baseballs, einer Rockabilly Band. Auf Hauptbühne und kleiner Moderationsbühne verteilt „spielen“ sie zusammen zum ersten Mal überhaupt „Cadillac Maniac“, was relativ nice klingt. Vor allem, da sich die Bands dabei battlen. Weswegen uns das Ganze auch als Kissin‘ Dynamite vs. The Baseballs kredenzt wird.

Der nächste Servicebeitrag enthält Tipps fürs richtige Saufen. Natürlich. Ja, Alkohol gehört auch irgendwie zum Festival. Aber als ob erwachsene Menschen, an die dieses Programm ja gerichtet ist, nicht wüssten, wie sie mit Alkohol umzugehen haben.

Weiter dreht sich das Playback-Karussell mit Blind Channel, die mit „Dark Side“ ihren ESC Song aufführen und im Anschluss noch „Bad Idea“ vom Band laufen lassen.

Als nächstes versucht ein, scheinbar im Fernsehgarten schon bekannter Mann namens Tekkin Dogan seinen eigenen Rekord „320 Steinplatten in 20,46 Sek. zerkloppen“ zu brechen. Spoiler, schafft er auch. Tatsächlich ist das einer der interessantesten Beiträge der ganzen Show.

Bonfire wagen dann das schon fast Unaussprechliche. In ihrer Darbietung ihres Survivor Covers „Burning Heart“ singt Frontmann Alexx Stahl tatsächlich live. Er trifft zwar auch nicht jeden Ton dabei, was vielleicht auch am Monitorsound liegen kann, da er tatsächlich die Bühne verlässt und sich durchs Publikum bewegt, wie sonst nur seine Kollegen von der Schlagerabteilung. Aber er demonstriert damit wenigstens, dass es sich hier immer noch um echte Musiker und nicht um Pantomimen handelt, die nur so tun als ob.

The end is near. Nun wird tatsächlich auch um die Wackentickets gespielt. Det, eines der Mainzelmännchen, muss als Figur an einer Schur über eine Distanz bis ins Ziel gezogen werden, ohne dabei umzufallen. Das Tückische ist, dass die Figur nicht einfach an die Schnur gebunden, sondern in ihr eingewickelt ist. Kandidat Jürgen, der Joakim Broden bei Wish bestellt, ist der klare Fan-Favorit und verbockt es natürlich als erstes. Auch die Dame in den Reihen scheitert kurz vorm Ziel, so dass Kandidat Florian sich die letzten beiden Wackentickets sichert.

Letzte Runde: The Rasmus müssen noch mal ran zu ihrem 2002er Hit „In The Shadows“, der wohl Andrea Kiwels Lieblingssong der Finnen ist und auch mir damals die Türen zum Rock aufstieß.

Es ist geschafft, die Sendung ist rum und zu den Klängen von Bon Jovis „It’s My Life“ läuft der Abspann über den Bildschirm.

Ja, man war bemüht, und natürlich ist dieses Programm eher für eine ältere Generation bestimmt. Wenn man sich jedoch entscheidet, eine Sonderausgabe über Rock und Metal zu senden, sollte man sich doch im Vorfeld mehr mit dem Thema auseinandersetzen, um somit auch die Zielgruppe dieses Specials zu bedienen. Ist so leider nur ein ungenügend und definitiv kein Recall.

Für die, denen man eh nicht mehr helfen kann (so wie mir),

für die, die sich gerne ironisch etwas reinziehen (so wie ich)

oder für die, die gerade einen Trip geschmissen haben (wieso schaut ihr mich jetzt an).

Ich bin jetzt erstmal durch. Euer seelisch gebrochener Inqui.

In der Mediathek des ZDF noch verfügbar:
ZDF-Fernsehgarten Mediathek Rock im Garten

3 Kommentare

  1. Keine Ahnung, was das Gehetze soll. Wenn die Bands durch solche Shows ein paar Leute finden, die letztendlich die Karten für ihre Shows kaufen, dann is doch alles tuti, oder nicht?
    Aber nee, bestimmt dürfen solche Leute auch kein Geld verdienen, weil „dat is ja alles Mainstream“ und jede Band darf ja nur in kleinen, dunklen Clubs auftreten um sich den Lebensunterhalt zu finanzieren.

    Warum da keiner live singt, hätte man ja auch mal im Vorfeld recherchieren können (weils bei so einer Sendung einfach technisch kaum umsetzbar ist, aber Hauptsache das Maul aufgerissen, ne Sendung mit dem Untertitel „ROCK im Garten“ soll sich mal mit Rock UND Metal beschäftigen, wa?).

    Und sonst? Einfach mal besser machen, statt zu ätzen. 🙂

  2. Das kann eben jede Band selbst entscheiden, ob sie ihre Seele für Geld verkaufen wollen oder eben nicht. Die Metaller wissen, was ich damit meine. Mit Musik kann man zu Zeiten von Spotify, YouTube und Co. eh kein Geld mehr verdienen. Es sei denn, man rückt von dem ab, was man fühlt und geht hin zu dem, was der Mainstream hören will.

  3. verstehe deinen Argwohn nicht. Der Artikel behandelt den verlauf der Sendung. Die Kritik äußere ich ja nicht an den bands selber sondern an der Art und weise wie diese ganze Show abgehalten wurde. man wollte in Rock und Metal Publikum ansprechen, hat sich aber ganz offensichtlich keine Mühe dabei gegeben das ganze wirklich attraktiv zu gestalten. Und ja wenn eine Öffentlich rechtliche Produktion, die Gelder von uns allen erhält, ein Programm über das Thema Rock und Metal plant, hat die Redaktion dahinter sich auch vernünftig mit dem Thema auseinander zu setzen. Zum Thema „Einfach mal besser machen“. Tuen wir. Wir nennen das Heavy Stage Night.

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